Die Villa der letzten Lederfabrikanten

Spitta-Haus

»Ein Mieter, sechs Wohnungen: Die Villa der Fabrikanten-Familie Spitta in der Großen Heidestraße nebst angebauten ›Wirtschaftstrakt‹.
Zu schade für den Verfall.«

»Einblick auf besten Ausblick: Es war ein Villen-Hof, dann wahrscheinlich ein Wirtschafts-Hof, jetzt ist´s trostlos -
der Hof zur Havel.«

Th. Messerschmidt: Die Villa der letzten Lederfabrikanten. Ruinen, Spekulationsobjekte, halbfertige Bauwerke.

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Anführunsgzeichen unten» Wer sich in der Altstädtischen Fischerstraße in nördliche Richtung bewegt, steuert geradewegs auf einen großen grauen Hausgiebel zu. Einige Fenster sind zugemauert und künden ebenso wie die ›offenen‹ von Vereinsamung. Nur eine Wohnung des großzügig angelegten Hauses an der Ecke zur Altstädtischen Wassertorstraße ist noch bewohnt; die angenagte Fassade des villen-ähnlichen Baus ist das Eingangstor zur Großen Heidestraße. Traurig in Anbetracht dessen, daß der Zweigeschosser einst zu den prächtigsten Häusern der Altstadt zählte, gehörte es doch zum Bestand der weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Fabrikanten-Familie Spitta. Allein deren Geschichte war dem ›Brandenburger Anzeiger‹ in den 1920er Jahren eine Sonderveröffentlichung wert, anläßlich deren 200jährigen Wirkens in Brandenburg.

Ein im Jahr 1911 erstellter Stammbaum sucht den Ursprung der Familie im 15. Jahrhundert und bescheinigt zugleich, daß Spittas das Tuchfabrikantendasein pflegten. Im Jahr 1720 war es dann Carl Wilhelm Spitta, der von Magdeburg nach Brandenburg zog und in der Sankt-Annen-Straße 42 den Grundstein für die märkischen Spittas legte.

Der erste hier geborenen Sohn (20.11.1723) hieß Christian Friedrich, siedelte sich am Molkenmarkt an und führte als Lederfabrikant die textile Leidenschaft der Familie fort. Vier Söhne waren seine Nachkommen, die ihrem Vater wiederum 13 Enkel bescherten, so daß sich das Spitta-Geschlecht weit in Brandenburg verbreitete. Zeitweise existierten bis zu vier Lederfabriken, die von Spitta-Nachfahren entlang der Havel gegründet worden waren.

Eine davon hatte ihren Ursprung in der Großen Heidestraße 1. Friedrich Spitta hatte um 1850 das Eckhaus als seinen Lebensmittelpunkt auserkoren. Schräg gegenüberliegend gründete er mit seinem Bruder Bernhard im Jahr 1852 die nach ihrem Vater benannte Firma › August Spitta Söhne ‹ (vermutlich auf dem Gelände zwischen Kommunikation und Havel, was sich heute als leicht verwildertes Gartenland darstellt) eine Lederfabrik. Vermutlich reichte der Platz für den rentablen Betrieb schon bald nicht mehr aus, do daß auch Teile der Villa zumindest für Lager- und Bürozwecke genutzt wurden. Als auch dort die Kapazität erschöpft war, wurde das Nachbarhaus, die Große Heidestraße 2, hinzuerworben. Möglich ist, daß hier bis etwa 1870 ein kleiner Zweigeschosser ähnlich der angrenzenden Wohnhäuser gestanden hat, der für die Lederfabrikation jedoch einem Dreigeschosser mit langgezogenem hofseitigem Anbau weichen mußte. Der einem Wirtschaftstrakt gleichende Bau könnte für die Fell- und Lederbearbeitung, aber auch als Wohnquartier für Angestellte genutzt worden sein. Noch um 1890 galten die Spitta-Brüder als Hausherren von Fabrik und Villa, wurden alsbald aber von ihren Söhnen abgelöst.

Zur Produktion wird in der Jubiläumsbroschüre des › Brandenburger Anzeiger ‹ geschildert:
» Die Fabrikation, die sich im Anfang auf alle Lohleder erstreckte, ging Ende der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts auf die alleinige Erzeugung von Roßleder und seit 1889 zur Herstellung von feinem Reitzeugleder, farbigem Rindsleder für Koffer und Täschnerwaren, Treibriemenleder, farbigem Schweinsleder für Sättel, feine Lederwaren und Bucheinbände über. Bis 1868 wurde Pferdekraft, seitdem Dampfkraft, gegenwärtig Dampf- und elektrische Kraft zusammen in 400 Pferdestärken verwendet. Beschäftigt werden etwa 120 Personen. «

Während die anderen Spitta´schen Lederfabriken mit dem Tod ihrer Gründer eingegangen waren, setzte sich die positive Entwicklung der › August Spitta Söhne ‹ zu Beginn des 20. Jahrhunderts fort; die Lederfabrikation wurde auf die Neuendorfer Straße 56b ausgedehnt. » Auch wiederholte Brände, die die Gerberei heimsuchten, auch der von 1915, haben die Erzeugung nicht aufhalten können « , heißt es in der Familienchronik. Bis zu 73.000 Felle wurden pro Jahr verarbeitet.

In den 20er Jahren kamen bereits die nächsten Spitta-Nachkommen in die Firmenführung; die Firma hieß nun › August Spitta Lederwerke GmbH ‹, Geschäftsführer war August Spitta, der Ururenkel des einst namensgebenden Spittas. Der junge Kaufmann zog es vor, etwas abseits der Fabrik zu wohnen, residierte deswegen in der Ritterstraße 1. Ebenso sein in der Fabrik mitbestimmender Cousin Bernhard - er hatte auf den Domlinden sein Zuhause gefunden. Die Villa bewohnten indes laut Adreßbuch von 1928/29: Witwe Ella Spitta, Witwe Jenny v. Förster, Kutscher Schmidt, Drechsler Martens und Bürogehilfe Beyer.

1939 erfolgte die Umwandlung der GmbH in eine Kommanditgesellschaft; kurz nach dem Krieg wurde die beispiellose Spitta-Karriere für beendet erklärt: Die letzte ihrer Lederwarenfabriken fiel der Einteignung zum Opfer. 1949 legte die Sowjetische Militär-Administration das Spitta-Erbe in Volkes Hand. Als Rechtsträger für die Große Heidestraße 1/2 gelangte ein Jahr später der › Konsumverband Brandenburg e.G.m.b.H. Potsdam ‹ in die Akten, ab 1961 dann der › Rat der Stadt Brandenburg/Havel ‹.

Was derweilen aus den Immobilien geworden war, ist nicht bekannt. Gewiß war die Fabrik am Wasser längst geplättet, jegliches Gewerbe aus dem Eckhaus verbannt. Schließlich diente die einstige Fabrikanten-Villa samt Anbau als Miet-Wohnhaus und blieb es bis heute. Inzwischen ist das Haus etwa 220 Jahre alt, gehört zum WOBRA-Sammelsurium. Daran änderte auch eine ›vermögensrechtlicher Rückübertragungsantrag‹ der Spitta-Nachfahren nichts. Die Ablehnung vom Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen ist auf den November ´97 datiert. Was die WOBRA mit dem stattlichen Zweigeschosser samt ausbaufähigem Dach und der herangebauten › 2 ‹ vorhat, weiß niemand. Nur eine der sechs Wohnungen ist noch vermietet, der unbebaute Teil des 480 qm großen Grundstücks wird lediglich zum Abstellen der Mülltonnen genutzt. An eine Sanierung auf Kosten der WOBRA ist nicht zu denken, an den Verkauf wurde bisher nicht gedacht. Schade drum, denn noch hätten Haus und Hof das Zeug zum altstädtischen Schmuckstück.

(Quelle: Th. Messerschmidt: Die Villa der letzten Lederfabrikanten. Ruinen, Spekulationsobjekte, halbfertige Bauwerke. Die Serie "Ein paar Reste gefällig?" - heute: Große Heidestrasse 1/2 (=Serie: Ruinen-Tour durch Brandenburg), in Preußenspiegel, Ausgabe 13. Sonntag, 14. Februar 1999.)

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