Im Jahr 1852 erwarb die in Brandenburg seit dem 18. Jahrhundert ansässige Gerberfamilie Spitta das Wassertorpalais zusammen mit einem Gelände an der Kommunikation, welches durch die Verlegung einer Schiffswerft frei geworden war.
Die Doppelfunktion des Gebäudeensembles als Wohnhaus und Gerberei machen die zwei historischen Fotos um 1910 anschaulich: Schabracken und Jalousien sind Zeichen für den Wohnkomfort in diesem Bürgerhaus. Dagegen dienten die Lamellen in den Fensteröffnungen des Obergeschosses des Gerberhauses zur Belüftung eines Trockenspeichers. Das Gestänge auf dem Dach zeigt ebenfalls an, dass hier ein Teil der Lederverarbeitung stattfand. Und die vielen adrett weiß gekleideten Hausmädchen haben vermutlich sowohl im Haushalt wie in der Produktion gearbeitet.
Jüngst wurde das alte Weißgerberbecken im Keller des Hauses entdeckt. Dieses diente zur Verarbeitung von Kleintierfellen bei der Herstellung von Feinleder und ist ein Zeugnis für dieses einst in Brandenburg wichtig Handwerk. Gleichwohl war hier nur der Nebenbetrieb, die eigentliche Fabrik lag direkt am Havelufer, an der Kommunikation.
Im Jahr 1902 feierte die „August Spitta und Söhne Lederwarenfabrik“ ihr 50jähriges Firmenjubiläum. Das aus diesem Anlass entstandene Gruppenfoto, eine Fotomontage, zeigt die männlichen Spittas – eine Dame ist mit dabei – zusammen mit den Firmenmitarbeitern vor einem Panoramabild. Die imposante Fabrikanlage – fact or fiction – muss man sich auf dem realiter recht schmalen Geländestreifen zwischen Havelufer, Kommunikation und Wassertorstraße vorstellen. Vor dem Fabrikgebäude sind Schuten vertäut, von denen aus Arbeiterinnen die Tierhäute in der Havel waschen. Rechts außen wird das Spitta-Gebäudeensemble durch die zugehörige detailgerecht wiedergegebene Fabrikantenvilla, das Wassertorpalais, vervollständigt. Dort wohnten seit 1852 auch die beiden Firmengründer, die Brüder Bernhard und Richard Spitta.
Für das Jahr 1906 hat Friedrich Schroeder eine eindrucksvolle Fotodokumentation der Firma August Spitta & Söhne hinterlassen. Sie zeigt die beiden damaligen Chefs und fünf Arbeitsgänge der Lederverarbeitung.
In einer Annonce von 1926 stellt sich die Firma Spitta mit zwei Fabrikstandorten dar (Abb.)
An den Gründer des Brandenburger Zweiges der letztlich aus Belgien stammenden Familie Spitta erinnert auf dem Neustädtischen Friedhof das barocke Grabdenkmal für Karl Wilhelm Spitta (1695-1771). Dieser war im Jahre 1721 aus Magdeburg zugewandert, hatte in die Brandenburger Bürgerschaft eingeheiratet und aus zwei Ehen neun Kinder, von denen ihn eine Tochter und drei Söhne überlebten. Zu Füßen dieses Grabdenkmals lehnt eine Tafel für August Spitta (1892-1966). Sie erinnert an den „letzten Spross“ aus dieser Spitta-Linie, in dessen Lebenszeit Firma samt Wohnhaus 1945 enteignet wurden. Er arbeitete schließlich als Nachtwächter in seiner ehemaligen Firma. Daneben steht auch der Gedenkstein für seine Frau und seine Tochter, die sich bei Kriegsende ums Leben brachten.
Udo Geiseler und Klaus Heß (Hrsg.), Brandenburg an der Havel Lexikon zur Stadtgeschichte, Berlin 2008, S. 341.
Th. Messerschmidt, Die Villa des letzten Lederfabrikanten. Ruinen, Spekulationsobjekte, halbfertige Bauwerke. Die Serie ›Ein paar Reste gefällig?› – heute: Große Heidestraße 1/2 (=Serie: Ruinen-Tour durch Brandenburg), in: Preußenspiegel ?, Ausgabe 13, Sonntag 14. Februar 1999.
Friedrich Schroeder: Brandenburgs Großindustrie anfangs des 20. Jahrhunderts in Wort und Bild, Brandenburg 1906.
Otto Tschirch: Zwei Jahrhunderte in Brandenburg. Der Werdegang eines Altbrandenburger Geschlechts. Ein Gedenkblatt zur Zweihundertjahrfeier des Hauses Spitta. In: Brandenburger Anzeiger, Sonnabend, den 13. August 1921, Nummer 188, 112. Jahrgang.
Gisela Wall: Kulturhistorisch und stadtgeschichtlich bedeutende Grabdenkmäler und Grabsteine auf dem Neustädtischen Friedhof. In: Historischer Verein Brandenburg (Havel) e.V., 9. Jahresbericht 1999-2000, Brandenburg a.d.H. 2000, S. 70 ff.